Dass die Ostfriesen an der Küste der niedersächsischen Nordsee ein zum Teil sehr eigenes Völkchen sind, merkt man spätestens dann, wenn es ums Teetrinken geht. Dann verstehen die Menschen an der Küste der zum Teil rauen See keinen Spass. Zeit sich mit der “Teetied” vertraut zu machen.
Sicher hast du bis jetzt im Glauben gelebt, dass die Engländer das Mass aller Dinge beim Teetrinken sind. Vergiss es! Mit einem Pro-Kopf-Verbrauch von 300 Litern Tee übertrumpfen die Ostfriesen die Briten locker um 100 Liter. Restdeutschland kommt da auf lachhafte 30 Liter. Die Niedersachsen sind also Weltmeister im Teetrinken. Und damit du mich recht verstehst, wir sprechen hier von klassischem Tee und nicht von Pfefferminze, Hagebutte und Kamille. Typischerweise trinken die Küstenbewohner eine Mischung aus diversen Assam-Sorten.
Viele schmucke Kaffees an der Nordseeküste
Ich gebe es gerne zu. Auch ich wurde Opfer meiner eigenen Unkenntnis. Bei meiner Reise im Oktober 2018 an die Nordsee besuchte ich in Greetsiel das schnucklige Lokal „Poppinga’s Alte Bäckerei” und bestellte natürlich voller Freude einen “Ostfriesentee”. Der wurde mir dann auch stilecht serviert. Am Nebentisch sassen Einheimische ebenfalls vor ihren Tassen und diskutierten heftig das aktuelle Geschehen im Ort.
Poppinga’s Alte Bäckerei
Sielstraße 21
DE–26736 Greetsiel/Krummhörn+49 49 26 13 93
poppingas-alte-backerei-greetsiel.de
Ich mixte mir voller Freude meinen Tee zusammen. Zuerst Tee in die Tasse, dann ein Stück des Kandiszuckers rein, der zum Tee serviert wurde. Weiter einen zünftigen Schuss Sahne dazu und schön umrühren. Ich hatte den Löffel noch nicht in der Tasse, verebbte das Gespräch am Nebentisch schlagartig und alle schauten mich entgeistert an. Irgendetwas musste ich falsch gemacht haben. Nach einigen endlos langen Sekunden der Stille schüttelte die Gesellschaft am Nebentisch den Kopf und widmete sich wieder ihrem Gespräch.
Das war mir dann doch etwas suspekt und so erkundigte ich mich dann bei der sehr netten Bedienung, ob ich etwas falsch gemacht habe. Sie lachte und sagte nur: „So ziemlich alles”. Und so erklärte sie mir, wie man sich einen Ostfriesentee korrekt zubereitet.
Das richtige Zubehör für die Ostfriesische Teekultur
Die Ostfriesische Teezeremonie benötigt das „richtige” Zubehör. Da wäre zum Ersten eine perfekte Teemischung. Ein Ostfriesentee kann aus bis zu zehn verschiedenen Sorten bestehen, wobei vorwiegend Assam verwendet wird. Weiter braucht es „weiches” siedendes Wasser. Zubereitet wird der Tee in einer schönen Teekanne mit einem Stövchen. Als Stövchen bezeichnet man den Untersatz mit Teelicht auf dem der Tee warmgehalten wird.
Weiter braucht man „Kluntje”, also weisser oder brauner Kandiszucker, Sahne mit einem Rohmlepel (Sahnelöffel) und natürlich die richtige Teetasse aus Porzellan. Diese muss möglichst klein und dünn sein. Ideal passt das Design zum Teekrug, aber da sind wir dann schon bei den Details.
Jetzt geht es los mit der Zubereitung. Zuerst wird Wasser gekocht. Vom kochenden Wasser gibt man etwas in die Teekanne und spült sie aus, damit sie angewärmt wird. Nun kommt die Teemischung in die Kanne. So ungefähr 1 Teelöffel pro Tasse. Jetzt musst du die Kanne mit kochendem Wasser etwa zur Hälfte befüllen und mit geschlossenem Deckel vier bis fünf Minuten ziehen lassen. Ist das geschehen, kannst du die Kanne mit dem restlichen heissen Wasser füllen und auf das Stövchen stellen.
Damit das Teekraut nicht in deiner Tasse landet, verwendest du ein Teesieb oder ein im Auslauf der Kanne angebrachtes Sieb. Hin und wieder sieht man auch, dass der Tee in eine Servierkanne umgefüllt wird. Das halte ich aber für übertrieben, speziell, wenn du den Tee zuhause zubereitest. Bis jetzt war das noch einfach, oder? Jetzt kommen die Stolpersteine.
Lege zuerst je nach Grösse einen oder zwei Kluntje in die Tasse. Nun giesst du den heissen Tee über den Kandiszucker. Wenn du es richtig machst, dann hörst du ein Knistern. Nimm den Rahmlöffel und giesse vorsichtig etwas Sahne am Rand der Tasse in den Tee. Es entstehen wunderschöne Sahnewolken.
Was du nun auf keinen Fall tun darfst ist umrühren. Das gibt etwa ähnlich Ärger, wie wenn du beim Italiener die Spaghetti mit dem Messer schneidest. Also Finger weg vom Löffel. Es gibt Gründe für dieses Rührverbot. Einerseits war Kandiszucker früher sehr teuer und man wollte ihn für mehr als eine Tasse verwenden, und anderseits wird der Tee sonst viel zu süss.
Nun schlürfst du dich durch die drei „Geschmacksrichtungen” Tee. Zuerst kommt das reine etwas herbe Teearoma, dann die Harmonie von Tee und Sahne und zum Schluss noch die Süsse des geschmolzenen Kandis.
Bei einer ostfriesischen Teezeremonie ist es „Pflicht”, dass man mindestens drei Tassen trinkt. Alles andere gilt als sehr unhöflich, ja gar beleidigend. Wenn du dann genug Tee hast, dann kommt endlich der Löffel zum Einsatz. Leg ihn einfach in die Tasse und der Gastgeber weiss, dass es genug ist, und er schenkt nicht mehr nach.
Nun nimmt es dich sicher noch wunder, wann dann dieser Tee getrunken wird. Hauptzeit für eine Teezeremonie ist Nachmittag um etwas 15 Uhr. Meist gönnt man sich aber auch am Vormittag um elf Uhr ein paar Tässchen („Elführtje“), teilweise auch noch am Abend nach dem Essen. Treffen Gäste ein, so wird auch ausserhalb dieser Zeiten Tee aufgesetzt. Für dich als Gast ist das ein gutes Zeichen, denn dann weisst du, dass du willkommen bist.
Bis jetzt habe ich dich bewusst vom geschichtlichen Hintergrund dieser Teezeremonie verschont. Da Teeblätter aber weder auf friesischen Bäumen wachsen (Bäume sind eh rar an der Nordseeküste), noch mit der Flut angeschwemmt werden, müssen diese irgendwoher kommen.
Bevor die Ostfriesen mit der Teetrinkerei begonnen haben, war Bier das Mass aller Dinge. Als dann die Holländer im 17. Jahrhundert die Weltmeere unsicher machten und auch in Fernost stoppten, brachten Sie Tee aus China mit. Zuerst als Medizin eingesetzt, erfreute sich Tee nach und nach grösserer Beliebtheit und machte gar dem Bier richtig Konkurrenz.
Grund für diese Beliebtheit war mutmasslich die schlechte Qualität des Trinkwassers. Salzfluten überspülten regelmässig die Brunnen und Grundwasserquellen und so musste man das Trinkwasser zuerst abkochen und aromatisieren. Dazu war der Tee bestens geeignet.
Diese Tatsache war dem Preussenkönig Friedrich II., der über die Gebiete herrschte, ein Dorn im Auge. Er fand das „Drachengift”, welches die Küstenbewohner in „barbarischen” Mengen tranken, höchst gesundheitsschädigend. Zudem war ihm der Abfluss des Geldes ins Ausland ein Dorn im Auge. Der König argumentierte, dass Zitronenmelisse mindestens so schmackhaft sei und überhaupt würde Teetrinken den stundenlangen Müssiggang fördern. Indies, die Ostfriesen ignorieren die Obrigkeit, tranken weiter Tee, so dass Friedrich II. nach zwei Jahren frustriert das Teeverbot wieder aufhob.
Ab Beginn des 19. Jahrhunderts wurden dann die grossen Teehäuser gegründet und der Teehandel florierte, erlebte aber weiter Hochs und Tiefs. Im ersten Weltkrieg kam es an der niedersächsischen Nordeeküste zu einer „Teenotzeit”, da der Tee immer knapper wurde und die wenigen Lieferungen von mieser Qualität waren.
Die Nationalsozialisten im zweiten Weltkrieg wussten indies von der Teehochburg Nordseeküste. So kam es, dass man den hartgesottenen Teetrinkern massiv höhere Teerationen zusprach, als dem Rest der Bevölkerung. Trotzdem war in dieser Zeit der Tee natürlich auch knapp.
Und so erfreut sich die Teezeremonie in Ostfriesland nach wie vor einer sehr grossen Beliebtheit. Ich bin immer wieder begeistert, wenn ich solche traditionellen Bräuche entdecke, die auf den ersten Blick völlig unspektakulär sind.
Wenn du dich für diese tolle Teekultur interessierst, findest du im Ostfriesischen Teemuseum ganz viele Informationen.
Ostfriesisches Teemuseum
Am Markt 36
DE–26506 Norden+49 49 31 1 21 00
www.teemuseum.de
Und hier habe ich noch einen kleinen Film entdeckt, der dir zeigt, wie man es richtig macht. Du kannst ja sicherheitshalber mal daheim üben.
Abgesehen von der Ostfriesischen Teezeremonie gibt es an der Niedersächsischen Nordsee noch ganz viel zu entdecken. Besuch doch mal das Unesco Weltnaturerbe Wattenmeer oder die spannenden Inseln vor der Küste. Mehr gibt es bald hier bei mir oder jetzt schon auf www.die-nordsee.de.
Reisefreudige in der Schweiz können ihre Nordsee Reise bei Railtour buchen und sich inspirieren lassen
Meine Reise an die Nordsee im Oktober 2018 wurde durch "Die Nordsee GmbH" und ihren Partnern organisiert und finanziert. Meine Artikel entstehen jedoch frei nach meinen Eindrücken und ohne Einflussnahme der diversen Partner.